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Hamburger Abendblatt - 08.12.2008

Kritik: Das angenehm unperfekte Musical "Back Up Story" feierte auf Kampnagel Premiere
Eine Performance mit Pep und Power

Ein fulminanter Jazz-Sound von Pop-Künstler Jimi Tenor und seiner Band Kabu Kabu untermalte die Performance-Collage der Hamburger Theatergruppe Hajusom! Mit viel Dynamik und Spaß brachten die jugendlichen Akteure eine Geschichte um Krise und Neustart auf die Bühne. Gesang, Tanz und Spiel hätten allerdings eines nicht gebraucht: einen leicht verworrenen, theoretischen Überbau.

Hamburg ist die Hauptstadt der Musicals. Umso erstaunlicher, dass sich die Kulturfabrik Kampnagel nun auch diesem Genre verschrieben hat. Doch das Stück, was da am Sonnabend Premiere feierte, setzte sich angenehm ab von den Hochglanz-Singspielen, deren Perfektion immer auch die Gefahr von zu viel Glätte in sich birgt.

In der großen Barmbeker Halle nun brachte der finnische Elektro-Pop-Musiker Jimi Tenor mit seiner Band Kabu Kabu sowie der Hamburger Theatergruppe Hajusom! eine mehrsprachige Performance-Collage auf die Bühne, deren Handlung zwischen simpel und spacig changierte.

Sehr schön war die Idee, die Inszenierung reduziert zu beginnen. Denn in den folgenden anderthalb Stunden sollte die Story noch verworren genug werden. Und so war zu Anfang bloß die sechsköpfige Kombo als schwarzer Umriss zu erkennen, projiziert auf einen weißen Vorhang. Mit einem getragenen Jazz-Intro samt rasselnder Zymbeln und feierlichen Bläsersätzen eröffneten sie die Show. Aus dem Off erklärte dann eine Stimme vorsorglich vorab die zwei Handlungsstränge des Abends.

Zum einen behandele "Back Up Story" Aufstieg, Fall und Neustart junger "tanzender Talente". Diese Geschichte ist tatsächlich schnell erzählt: Aus Afrika, Amerika und Asien für die Erfolgsproduktion "West Side Story" gecastet, vom Produzenten jedoch um die Gage betrogen, landet die Truppe im Gefängnis, wo sich Widerstand und Aufbruchsstimmung regt. Diese neue Energie nutzen sie, um sich in Gesang und Tanz ihrer Kultur und Individualität zu besinnen vom Wippen der Massai bis zu Bewegungen, die an fernöstliche Traditionen wie Tai-Chi erinnern. Dieser Kontext einer ethnisch gemixten Gruppe ist auch eine Referenz an den Background der Hajusom!-Mitglieder. Denn das Projekt verschafft jugendlichen Flüchtlingen in Hamburg über die kreative Arbeit eine sicherere Zukunft und frisches Selbstbewusstsein. Da passt es gut, dass auch die Band aus drei schwarzen und drei weißen Instrumentalisten besteht.

Mit diesem ersten Plot wurde allerdings noch "die Geschichte der Wissenschaft", "die Suche nach der Weltformel" verzahnt. Doch das Ziel des Abends "Raum gewinnen" hätten Ensemble und Musiker auch ohne diesen theoretischen Überbau erreicht. Denn vor allem die jungen Darsteller agierten mit so viel Feuer, Herzenswärme und Humor, dass jeder Vortrag über "neue Dimensionen" dagegen nur verblassen konnte. Wenn sie etwa das Heilsversprechen "I Wanna Be In America" in Choreographie und Chorgesang schnippisch aufs Korn nahmen. Wenn sich ihre Ausdruckskraft in pantomimischen Einlagen zeigte. Und vor allem, wenn sie mit Schnalzen, Zischen, Schnipsen, Klatschen, Stampfen, Rufen und Singen eine eigene grandiose Klangwelt erzeugten.

Am heftigsten wurde die Lust an der Performance spürbar, als die Jugendlichen zur Live-Musik tänzerisch improvisierten und in kurzen Soli demonstrierten, wie viel Pep und Power in Körper, Geist und Seele steckt. Die farbigen, afro-asiatisch inspirierten Kostüme von Ruth May unterstrichen noch die Gefühle von Euphorie und Emanzipation, die sich zum Finale hin steigerten. Tenor, in den 90er-Jahren ein großer Name für innovativen Techno, bearbeitete derweil im Hintergrund Keyboards und Piano, griff auch mal zu Querflöte und Saxophon. Teilweise wirkte der Mann mit der Sonnenbrille und dem extravagant bestickten Brokatmantel etwas abwesend. Doch seine Band und er kreierten einen fulminanten Sound zwischen Jazz, Funk und Blues, zwischen nervösem Groove und schwelgerischen Spährenklängen. Afroamerikanische Rhythmen von Percussions und Schlagzeug kombinierten sie mit brodelndem Bass und pointierten Bläsern. Die Stimmen der jungen Akteure waren nicht immer voll und ausgereift. Und die Texte besaßen naiven Charme. Gut so. Denn wie bewegend ist es doch, ein Musical zu erleben, dass nicht perfekt ist. Ein Musical, bei dem nicht jede dramaturgische Wendung bis ins Letzte überdeutlich erläutert wird. Ein Musical, das seine Spannung daraus bezieht, ein paar Geheimnisse für sich zu behalten.

Birgit Reuther

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Hamburger Abendblatt - 08.12.2008: Eine Performance mit Pep und Power