Auf Kampnagel zeigt die Theatergruppe Hajusom ihr Stück
„Morgen Grauen“ – eine Grenzerfahrung
Hamburger Abendblatt, 25.11.2021
Autor: Falk Schreiber
Der Horror war schon mal erschreckender. „Wir möchten Ihnen heute von unserer Welt erzählen“, lächelt Zara Mussawi ins Publikum. „Meine Welt ist schön.“ Die Performerin strahlt, ihre Augen blitzen, aber dann packt sie ein Krampf. Sie hustet, sie würgt, fast übergibt sie sich, dann zurück zum Lächeln. „Meine Welt ist schön.“ Bloß glaubt man ihr jetzt nicht mehr, ärger noch: Der Satz greift ihren Körper an.
Die transnationale Theatergruppe Hajusom beschäftigt sich auf Kampnagel mit Horrorbildern. „Morgen Grauen. Welche Monster kommen noch?“ heißt die Video-Musik-Performance, in der sich die Darsteller mit echten und konstruierten Ängsten beschäftigen. Und damit, wie Gesellschaften mit solchen Ängsten umgehen: Eine Mehrheitsgesellschaft blickt auf das Fremde und entwickelt zur Abwehr Angst, das ist ein politisches Thema, und die Hajusom-Mitglieder, die mehrheitlich eine Migrationsgeschichte haben, müssen eine Haltung zu diesem Thema entwickeln. „Wer fühlt sich von wem bedroht?“, fragt das Stück. „Wer sieht wen als Monster? Wessen Ängste kommen zuerst? Welche werden von der Mehrheitsgesellschaft ernst genommen?“
Harte Splatterbilder braucht die Inszenierung gar nicht, um sich durch diesen Komplex zu arbeiten. Stattdessen: eine langsam steigende Flut. Wurzeln, die sich wie Gebeine drohend aus dem Wasser erheben. Und Schatten, die sich unter der Wasseroberfläche zu regen beginnen. Schon die vielfältig veränderbare Bühne (Michael Böhler, Markus Lohmann) weckt in ihrer Milchglasoptik ungute Emotionen, Matthis Mennekings suggestive Videos und Viktor Mareks dunkel pochender Sound machen die Verunsicherung komplett.
Das ist konsequent, so konsequent, dass es die inhaltlichen Konkretisierungen gar nicht bräuchte, die dem Stück dann doch manchmal unterlaufen. Das Grauen ist ja da, eine Bezugnahme auf den Raubbau an der Natur im Nigerdelta und die Repressionen gegen die lokale Bevölkerung sind dann eher eine Überdeutlichkeit. Eine, die der Abend auch weitgehend umschifft: Die meisten Szenen stehen für sich, mit Texten, die näher an der Lyrik sind als an echten inhaltlichen Verortungen. Und einem Spiel, dass weitgehend abstrakt bleibt.
Das Hajusom-Theater hatte schon immer eine starke körperliche Note, und hier wird es über weite Strecken zum Tanz – was wohl auch daran liegt, dass die künstlerische Leitung von „Morgen Grauen“ beim Choreografen Josep Caballero Garcia liegt. Zum Tanz, der sich einerseits einer klaren Zuordnung verweigert, andererseits aber immer die Tendenz zur Beunruhigung beibehält. Und dabei athemberaubend gut aussieht.
Dass Hajusom auch humorvoll sein kann, hat in diesem konsequent düsteren Setting nur selten Platz. Einzig in der letzten Szene wird ein Monster beschworen, das so erschreckend ist, man möchte fast die Augen schließen: der Bundesadler. Und der singt dann einen mitreißenden Song mit schnöder „Du kannst es schaffen“-Botschaft.
„Meine Welt ist schön“, lächelt Mussawi. Aber das ist gelogen.