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Die Welt - 10.12.2002

Freunde auf der Bühne ersetzen die Familie
Jugendliche Flüchtlinge der Gruppe Hajusom spielen auf Kampnagel "Die Kinder der Regenmacher"

Angst essen Seele auf - das ist grausam und lässt den Ängstlichen nicht wieder los. Eigentlich ist Omid noch Teenie, in Wahrheit aber ist er längst erwachsen. Er weiß sein Gegenüber still zu mustern, Ungestüm ist Freundlichkeit gewichen, das haben die Beamten lieber in jenem Land, das Omid als zweite Heimat in Erwägung zieht und das sich trotzdem weigert, dem 17-Jährigen diese Heimat zu schenken. Dabei braucht Omid dringend eine neue, denn die alte, der Iran, wird ihn nicht wieder haben wollen. Dort sitzt sein Vater im Gefängnis und hat gerade noch den Sohn über die Grenze retten lassen können. Für ein paar Tage war er anderer, mutiger Leute Sohn, dann lag Persien hinter ihm. Wenn Omid heute über seine Träume reden möchte - mal einen Beruf erlernen zu dürfen und mal weniger Angst als jetzt zu haben -, tut er das in seiner Familie. Und manchmal tritt er mit seiner Familie sogar auf.

Nicht die Mutter des Iraners steht dann gemeinsam mit ihm auf der Bühne, kein Bruder, keine Schwester. Die Leute aus Omids Familie haben alle mindestens so viele Ängste wie er, wenn sie zusammenkommen, sind es spürbar weniger, und das tut ungeheuer gut. Wenn Omid also Hilfe braucht, sucht er sie bei der Theatergruppe Hajusom. Neulich schlenderte er über besagte Bühne, inmitten der Familie, am Rand stand Dorothea Reinicke und gleich neben ihr stand Ella Huck, und beide waren sich nicht ganz so sicher, ob sie zu Regisseurinnen taugen. Vorne teilte sich Winnie, die Schöne aus Liberia, den prominenten Platz des Erzählers mit Hassan, der auch ein schwarzer Mensch ist und zudem ein sehr amüsanter Mann großer Gesten. Zehn andere waren auch noch da, aus Afrika und dem Iran und Afghanistan, allesamt als Pubertierende ganz allein der Heimat entflohen, in Hamburg gestrandet, in betreuten Wohnungen untergebracht. "Als damals die Leute von Hajusom bei mir anriefen", erinnert sich Winnie, mittlerweile 19 und somit "Oldie" in der Gruppe, "war ich mir überhaupt nicht sicher, ob mir das gefallen würde. Aber natürlich sagte ich zu, es war schließlich die seltene Chance, mit Leuten zusammen zu sein."

Nachdem die Jugendlichen mittlerweile vier Stücke aus dem Fundus ihrer eigenen, zumeist bitteren Erfahrungen bestritten und dabei ihr Publikum trotzdem nie in bloßer Betroffenheit, sondern auch trefflich unterhalten zurückließen, trauen sie sich nun an "echte" Schauspielerei heran. "Die Kinder der Regenmacher" nach dem gleichnamigen Buch des Afrikaners Aniceti Kitereza ist dabei zur Parabel geworden auf das friedlich neugierige Miteinander der Kulturen, welches die Hajusom-Akteure ja nicht erst recherchieren müssen.

"Ich habe jedenfalls in der Arbeit mit den Freunden gelernt", so Omid, "dass uns nicht die Kulturen trennen, sondern unser Unwissen über die andere Seite. Natürlich war ich total geschockt, als ich damals aus dem Iran hierher kam und mir die Mädchen halb nackt auf der Straße entgegenkamen. Aber es hat doch nicht lange gedauert, bis ich die Einstellung dahinter begriff und sie mir sogar gefiel: jeder Mensch soll tun können, was er mag, solange er dabei niemandem etwas Böses antut." Eine Binsenwahrheit, die nicht oft genug wiederholt werden kann. Und die, wie Omid beteuert, "nicht nur für die Mädchen gilt".

Wenn Hajusom morgen um 19 Uhr auf Kampnagel ihr hinreißend gespieltes Gleichnis zur Aufführung bringen, wünschen wir uns genau jene Menschen in den Saal, die Omids Engagement für Amnesty International für Theater halten und Winnies Wunsch nach einer Ausbildung für anmaßend; die sich hinter Paragraphen verstecken und dabei selbst aus den Augen verlieren. Und hinterher möchten wir sie zum Tee einladen und mit ihnen reden. Und der Mensch heißt Mensch, weil er irrt und weil er kämpft. Weil er mitfühlt und vergibt, weil er lacht und weil er lebt. Herbert Grönemeyer. Auch kein Dummer.

Stefan Krulle

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Die Welt - 10.12.2002: Freunde auf der Bühne ersetzen die Familie