Background-Image

taz - 11.12.2002

Verwirrspiel der Identitäten
Vom Floß an Land gesprungen: Die Jugendlichen von Hajusom! emanzipieren sich in der jetzt auf Kampnagel aufgeführten Produktion "Die Kinder der Regenmacher" von ihrer Rolle als Flüchtlinge

Wenn Hamidullah aus Afghanistan Hassan aus Sierra Leone fragt: "Woher kommst Du?" und der antwortet: "Aus der dritten Welt", klingt das so zynisch und einfach wie die Klischeevorstellungen, denen Flüchtlinge aus Afrika begegnen. In Hajusom!s neuem Theaterstück Die Kinder der Regenmacher, das heute auf Kampnagel Premiere hat, übernimmt die afghanisch-iranische Fraktion die Rolle eines Fernsehteams, das die afrikanische Gruppe filmt und interviewt.

In der siebten Produktion der Theatergruppe, die seit 1998 mit minderjährigen Flüchtlingen arbeitet, wollten die Jugendlichen nicht ihre eigene Biographie auf die Bühne bringen und sich als Flüchtlinge präsentieren. Sondern sie wollen zeigen, dass sie mehr können, als nur sich selbst zu spielen. So dient die Familiensaga Die Kinder der Regenmacher des tansanischen Autors Aniceti Kitereza als Rahmenhandlung. Die zehnköpfige afrikanische Gruppe spielt die Liebesgeschichte des Ehepaars Haua und Mamadi, deren Glück in Turbulenzen gerät, als sie vom Schwiegervater eine Zweitfrau verpasst bekommen.

Das Stück verbindet drei Ebenen: Während die afrikanischen Jugendlichen in die Sitten vorkolonialer Zeit eintauchen, sie erkunden und ihr Wissen über ihre Heimatländer erneuern, beobachtet sie das afghanische Fernsehteam von außen. Es greift ein und stellt Fragen zur Sicht auf Afrika. In den Drehpausen treffen sich beide Gruppen und diskutieren authentisch über existenzielle Fragen. In der typisch quirlig-frischen Mischung verbindet Hajusom! politische und persönliche Fragestellungen mit afrikanischer Tradition und Tanz mit witzigen Regieeinfällen zu einem Verwirrspiel um hybride Identitäten.

In der preisgekrönten Produktion 7 Leben, die im Frühjahr auf Kampnagel zu sehen war, ging es noch um das Leben der Flüchtlinge in Afrika, Afghanistan und dem Iran. Im Mittelpunkt standen ihre Erfahrungen im Krieg, auf der Flucht und bei der Ankunft in der seltsamen neuen Heimat Deutschland. Damals saßen sie noch alle auf einem Floß und waren unterwegs. In der neuen Produktion sind sie hier angekommen. Das Floß hat festgemacht und wurde durch ein Schlauchboot ersetzt. Aus den Flüchtlingen wurden Die Kinder der Regenmacher. Denn nur dank der Zauberkraft von Schamanen konnten sie ihre vom Krieg erschütterte Heimat verlassen.

Das Stück reflektiert die Lebenssituation der Jugendlichen, die nun einen Schritt weiter sind. Die Flucht liegt hinter ihnen. Jetzt nomadisiert nicht mehr ihr Körper. Sondern ihr Geist, ihre Identität befindet sich auf Wanderschaft zwischen den Kulturen. Im Vergleich zu den bisherigen Inszenierungen von Hajusom! scheinen Die Kinder der Regenmacher unbeschwerter, harmloser. Die politischen Statements sind weniger deutlich gesetzt. Subtiler geht es um unbewusste Denkmuster über das Andere, Fremde. Und um die Bildung der eigenen Identität, die sich im Spannungsfeld zwischen traditionellen Werten der mitgebrachten Kultur und den Möglichkeiten der westlichen Realität neu formiert.

Am Ende stehen die Träume und Wünsche der Jugendlichen im Raum. Wenn Baquira aus Angola träumt, schlägt sie einen großen Bogen von hier nach Afrika, vom Jetzt in ihre Vergangenheit: "Ich möchte als Pilotin ein Flugzeug in die Luft bringen und nach Hause zu fliegen."

Lisa Monk


Premiere am 11.12., weitere Aufführungen am 12., 13. und 14.12., jeweils um 19 Uhr, am 13. auch um 11 Uhr, Kampnagel

ImpressumDatenschutz
taz - 11.12.2002: Verwirrspiel der Identitäten