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Flüchtlinge auf die Bühne

Hajusom ist mehr als ein Theaterprojekt, es ist ein weitumspannendes Betreuungsnetzwerk. Das zu organisieren und zu finanzieren, ist immer wieder eine Herausforderung.

Eines stellt Ella Huck, eine der künstlerischen Leiterinnen des freien Theaterprojekts Hajusom, gleich zu Beginn klar: „Den Begriff Schicksalmögen wir nicht.“ Die Projekte, die sie zusammen mit Dorothea Reinicke, Projektkoordinatorin Julia zur Lippe, internationalen Künstlern und ungefähr 70 jungen Flüchtlingen und MigrantInnen aus westafrikanischen Ländern, dem Iran und Afghanistan entwickelt, haben mit Betroffenheitstheater nichts gemein. Im Gegenteil, Performances wie „Hajusom in Bollyland“, das 2011 mit dem Innovationspreis des Fonds Soziokultur ausgezeichnet wurde, oder „Das Gender-Ding“, das im April auf Kampnagel zu sehen war, sind selbstbewusst, energetisch, politisch und unterhaltsam, ohne belehrend zu sein. „Wir wollen spannende politische Kunst machen. Und wir wollen auf die großen Bühnen: Dort gehören wir mit unserem künstlerischen Anspruch hin und zugleich ist das auch ein politisches Statement“, bringt Huck den Ansatz von Hajusom auf den Punkt.

Dieses Jahr feiert das Projekt 15-jähriges Jubiläum. Der Name setzt sich aus den Vornamen der drei jungen Flüchtlinge zusammen, die das Projekt mitinitiiert haben: HAtice aus Kurdistan, JUSef aus Afghanistan und OMid aus dem Iran. Die Performerinnen Huck und Reinicke waren damals von einer Freundin kontaktiert worden, die in einer Erstversor-gungseinrichtung für Flüchtlinge arbeitete und die beiden fragte, ob sie für Theaterworkshops zur Verfügung stünden. Mittlerweile gehört zu Hajusom nicht nur das erfahrene Ensemble Hajusom, sondern auch die Nachwuchsgruppe Neue Sterne, die Band Voices of the Undead, die Text- und Musikwerkstatt Stimmen der Zukunft, Tanzangebote, das Kochangebot Kabili Massala sowie Mentoring für die jugendlichen
Flüchtlinge. Gewuppt wird das Ganze von den drei Vereinsmitgliedern Huck, Reinicke und zur Lippe sowie einem breiten Netzwerk, zu dem unter anderen Viktor Marek, Katharina Oberlik, Knarf Rellöm und das Berliner Puppentheater „Das Helmi“ gehören. Der Verein hat einen eigenen Probenraum im Bunker in der Feldstraße. Finanziert wird Hajusom hauptsächlich projektweise, aus den Töpfen der Kulturbehörde und durch Stiftungen wie der Robert-Bosch-Stiftung. Kontinuierliche Förderung, zum Beispiel die Betreuung des Nachwuchsensembles Neue Sterne durch Aktion Mensch, ist eher die Ausnahme.

„Wir fallen aus vielen Töpfen raus, weil wir auf Kontinuität bauen und Gelder meistens nur für ein paar Monate vergeben werden“, so Huck. „Die Erarbeitung unserer Performances zieht sich aber über ein bis eineinhalb Jahre. Andererseits ergeben sich durch das ganzheitliche Konzept auch Fördermöglichkeiten beispielsweise aus den Bildungs- und nicht nur aus den Kulturtöpfen.“ Wie viel eine Produktion insgesamt kostet, ist sehr unterschiedlich. Eine komplette dreimonatige Stückentwicklung kostet in der Größe von Hajusom-Produktionen circa 50.000 Euro, so viel wie bei städtischen Bühnen gerade mal das Bühnenbild. Die Förderungen werden sukzessive beantragt: „Einen Antrag kann man erst stellen, wenn man genau weiß, wohin sich die Produktion entwickelt. Das wird aber erst im Laufe des Probenprozesses klar. Am Anfang einer Produktion wissen wir nie, ob wir das Stück bis zur Afführung finanziert bekommen“, betont Julia zur Lippe. „Das ist ein grundsätzliches Problem der Förderung: Kostenpläne geben einen recht engen Rahmen vor, in dem der kreative Prozess einer Produktion stattfinden muss.“ Raum für Scheitern, der zur Kunst ja eigentlich dazugehört, ist da wenig. Hajusom verfügt mittlerweile über ein breites Netz von Förderern. Wann hatte der Verein das Gefühl, man sei langsam in trockenen Tüchern? Ella Huck lacht. „Das hat man nie. Es ist immer wieder aufs Neue ein Kampf.“

Die Lage sei grundsätzlich etwas besser geworden, findet Ella Huck.

„Aber die Förderung ist trotzdem viel zu niedrig. Ich finde, die Städte haben die Pflicht, die Freie Szene zu fördern, sowohl aus künstlerischen als auch aus sozialen Aspekten.“ Gerade die Freie Szene sei Vorreiter dabei gewesen, das zur Zeit auf allen Bühnen gehypte Migrationsthema überhaupt erst salonfähig zu machen. „Die Präsenz des Themas in den Staatstheatern wäre ohne die Avantgarde-Arbeit der Freien Szene gar nicht möglich gewesen.“ Welche soziale Funktion Hajusom hat, zeigt sich im Werdegang zahlreicher ehemaliger Mitglieder, die jetzt studieren, arbeiten und zum größten Teil, um einen äußerst unschönen Ausdruck zu benutzen: integriert sind.

Das ehemalige Ensemblemitglied Arman Marzak zum Beispiel, der in der Performance „Die Kinder der Regenmacher“ 2002 einen Koch gespielt hat, der alle Küchen dieser Welt beherrschte, hat jetzt seinen eigenen Catering-Service gegründet – und versorgt natürlich auch seine alten Kollegen von Hajusom.

 

Hanna Klimpe

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Szene Hamburg, April 2014