Aus jeder Raupe wird ein Schmetterling
Die Tanzshow "Hajusom in Bollyland" spürt den Gefühlen jugendlicher Migranten nach und ist alles, aber keineswegs nicht verkopft.
Hamburg. Gefühle zeigen ist out. Coolness ist in, so sehen diese Künstler das Leben und die Welt, in der eine Computergeneration im Begriff ist zu verlernen, was Gefühle sind. Sie ist mit allen vernetzt, doch die Beziehung zum eigenen Körper und zu anderen Menschen ist zunehmend gestört. Das transnationale Kunstprojekt Hajusom mit jugendlichen Flüchtlingen und Migranten in Hamburg erteilt auf seiner Reise in die Bilderwelt des Bollywood-Films eine berührende und humorvolle Lektion in Empfindung und Ausdruck von Gefühlen nach der alten "Rasa"-Lehre aus dem indischen Drama.
Das Inszenierungstrio Ella Huck, Dorothea Reinicke und Katharina Oberlik nutzt in der farbigen, mitreißenden, einfallsreich und klug montierten Tanz-Show "Hajusom in Bollyland" auf Kampnagel den Hype um das große Gefühlskino. Sie erzählen aber auch etwas von den Geschichten der 20 Mitspieler und ihren Schicksalen und vermitteln beiläufig und zwanglos: Das gefürchtete Fremde ist so fremd gar nicht. Denn alle Menschen kennen Angst, Ekel, Kummer, Liebe und Wut - nur der Umgang damit ist individuell und kulturell anders.
Die Farbe Grün steht in der Rasa-Lehre für die Liebe. Drei grün gewandete Paare synchronisieren eine Szene aus dem Bollywood-Film "Fanaa" nach. Sie zeigen eine schüchtern romantisch, eine herzlich und eine manipulierend gespielte Version der Liebesbegegnung. Darauf erzählen ein Junge und ein Mädchen die "wahre Geschichte" von ihrer ersten Liebe in der Schule, gefolgt von Tanz und einem vietnamesischen Liebeslied (zu Herzen gehend gesungen von Aimee Nhung Le).
Die verschiedenen Gefühlsfarben und künstlerischen Ausdrucksebenen verbinden raffiniert und visuell die Szenenfolge über die acht Rasas. Auf Komik (Weiß) folgt der Kummer (Grau). Die ehrliche Schilderung des Kriegsflüchtlings Arman Marzak, den beim Kartoffelbacken Schüsse überraschen, kontrastiert eine melodramatisch gemimte Leinwandszene. Der ironische Bruch kommentiert kritisch das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit. Andererseits warnt die Tänzerin und Choreografin Varsha Thakur: Wie im Leben gibt es auch im Spiel den Wechsel zwischen Lachen und Tränen, Glück und Leid. Eigene Erfahrungen der Spieler artikulieren sich im "schwarzen Loch". Gegen eine Mauer der Selbstgerechten tanzt Aminatu Jalloh an, gepeitscht von Viktor Mareks Zornesbeat.
Der Soundkünstler im Glitzersari und der Sitar-Spieler Ashraf Sharif Khan untermalen musikalisch die Szenen, begleiten den Gesang und den mitreißenden, erstaunlich gut beherrschten Bollywood-Tanz. Im meditativen Sufi-Finale beschwört das Ensemble mit dem Symbol der Imagozelle, die jede Raupe in einen Schmetterling verwandelt, die Hoffnung auf eine neue Gesellschaft nach dem "Schmetterlingseffekt" und bewirkt beim Publikum einen Begeisterungsausbruch. Ein Erfolg im doppelten Sinn für diese geist- und energiesprühende, so gar nicht verkopfte Lektion in Gefühslausdruck und sinnlicher Körperlichkeit, die beweist: Die Gefühle und die Kunst sind weltumspannend.
Hajusom in Bollyland 13.-15.1., 19.30, Kampnagel (Bus 172, 173) Jarrestr. 20, Tickets: 12,-, bis 16 J.: 8,-, Schüler: 5,-; www.kampnagel.de (-itz)