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taz, 06.01.2011

Theater über alle Grenzen

"Hajusom in Bollyland" heißt das neue Stück transnationale Kunst der Hamburger Performancegruppe. Morgen ist Premiere im Rahmen der "Echt-Migrationsformate" auf Kampnagel. "Die Idee, uns mit Bollywood zu beschäftigen, existierte schon länger in der Gruppe. Doch erst mit Negar Taymoorzadeh wurde sie real", erinnert sich Dorothea Reinicke an den Auftakt zum neuen "Hajusom"-Stück. Die Dramaturgin ist ein Teil der künstlerischen Leitung von "Hajusom" und nach der Musicalpremiere "Back up Story" war für die Darsteller ohnehin klar, dass auch das nächste Stück ein Musikstück sein müsse. Diejenige, die wusste, wie Bollywood funktioniert, war jedoch Negar Taymoorzadeh. Die junge Frau aus dem Iran ist neu im "Hajusom"-Ensemble, kennt sich aus mit indischer Dramaturgie und Choreografie und hat mit Varsha Thakur eine weitere Bollywood-Expertin in die Proberäume im Bunker an der Feldstraße gelotst.

Dort ist der dramaturgische Fahrplan von "Hajusom in Bollywood" entstanden. "Der orientiert sich an den acht Rasas, den großen Gefühlen wie Ekel, Wut oder Angst, und die bilden den roten Faden in Bollyland", erklärt Reinicke. Bollyland ist ein utopisches Land, ein eigenes Universum der großen Emotionen. Die werden auf der Bühne durchlebt und dabei greifen die Darsteller auf ihre eigene Geschichte zurück. Erfahrungen von Unsicherheit, Flucht und Abschiebung kommen dabei zur Sprache, denn das "Hajusom"-Ensemble ist eben keine gewöhnliche Performancetruppe, sondern besteht aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die als unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge nach Hamburg kamen.

Eine ganze Reihe davon haben kaum mehr Zeit neben Ausbildung, Lehre und Familie noch Theater zu spielen und deshalb wurde das Ensemble vor knapp zwei Jahren geöffnet. "Wir haben an alle Einrichtungen geschrieben und bei der Leitung angefragt, ob es Jugendliche gibt, die Lust haben Theater zu machen, ihre Erfahrungen in der Gruppe zu verarbeiten", erinnert sich Dorthea Reinicke. Zwanzig Jugendliche kamen, von denen gleich zehn bei "Hajusom in Bollyland" auf der Bühne stehen und wie Varsha Thakur für neuen Drive sorgen. Sie hat genauso wie "Marjani" Manoj Singh und Negar Taymoorzadeh bei Choreograhphie, Gesang und Performance mitgearbeitet und den neuen und alten Mitgliedern des Ensembles Bollywood und seine typischen Figuren näher gebracht. Die eine oder andere taucht im Stück auch auf, aber im Mittelpunkt stehen die Rasas, die Gefühle, die im Bollyland für Veränderungen sorgen sollen.

Positive versteht sich, denn bei "Hajusom" geht es um das Miteinander und das passt ideal zum Konzept hinter der Reihe "Echt-Migrationsformate" auf Kampnagel. Die greift die aktuelle Debatte über Integration auf und stellt individuelle Geschichten und Schicksale in den Vordergrund. Davon hat "Hajusom" reichlich zu bieten und viele der jungen Flüchtlinge, die zum Ensemble gehören, haben sich über den Spruch "Multikulti ist absolut gescheitert" von Angela Merkel geärgert. ",Dann können wir ja aufhören', war eine genervte Reaktion", erinnert sich Dorothea Reinicke.

Die Arbeit am Stück hat "Hajusom" aber ebenso wenig eingestellt wie die anderen Künstler, die in den kommenden Tagen auf Kampnagel zu hören und zu sehen sind. Installationen, Musik, Dokumentartheater und Vorträge stehen auf dem Programm und die Reihe will das kraftvolle, kreative Potenzial des Zusammenlebens verschiedener Kulturen aufzeigen. Mit dabei ist auch Gerald Asamoah: Der Lebensweg des Kickers vom FC St. Pauli wird in einer Videoinstallation nachgezeichnet. Ihren eigenen Fluchtweg haben die Theatermacher Branko Simic, Jons Vukoreb und Vernesa Berbo in einem dokumentarisch-fiktiven Erinnerungsversuch rekonstruiert. 

Bollyland ist ein utopisches Land, ein eigenes Universum der großen Emotionen

Knut Henkel

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taz, 06.01.2011