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Westfälische Nachrichten, Münster 17.04.2011

In den Stücken von "Hajusom" wird aus dem negativ besetzten "Kulturclash" eine Entdeckungsreise ins Wunderland fremder Kulturen. Und so wirken junge Tänzerinnen aus Westafrika in indischen Kostümen auch weniger exotisch als vermutet. "Hajusom in Bollyland" ist die zweite Musiktheaterproduktion des Projekts aus Hamburg. Seit elf Jahren erarbeiten Künstler aus allen Bereichen mit jungen Flüchtlingen und Migranten neue Formen von Performance. Nach der Uraufführung im Januar in der Hamburger Kulturfabrik "Kamp­nagel" beschenkte die Gruppe am Samstag ihren Koproduktionspartner, das Theater im Pumpenhaus, mit einer lautstark umjubelten Premiere in Münster.

Sie kommen aus Afghanistan, Vietnam und Westafrika. "Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge" heißen sie offiziell, klärt Dorothea Reinicke im Gespräch auf. Zusammen mit Ella Huck ist sie verantwortlich für Regie und Konzept. Nach einer rasanten anderthalbstündigen Collage aus Tanztheater und Schauspiel hatten die neunzehn jungen Menschen noch Nerv und Puste, sich den Fragen der Zuschauer zu stellen. Der Jüngste der Gruppe ist zwölf Jahre alt, der Älteste ist 29. Da wirkte die Äußerung einer Darstellerin über ihre Integration in dieser "Regenbogenfamilie" wie eine prosaische Demonstration für Völkerverständigung. Das war zuvor bereits die gesamte Aufführung. Die indische Choreographin Varsha Thakur erklärte die Essenz (Rasa = Saft) der klassischen indischen Ästhetik. Diese beinhaltet acht Grundstimmungen, die mit Farben (der Kostüme) symbolisiert werden: Wut (rot), Ekel (blau), Angst (schwarz), Heldentum (gold), Kummer (grau), Komik (weiß), Liebe (grün) und Staunen (gelb). Lebendig wurden diese Gefühlswelten durch ironische Persiflagen auf das übertriebene Pathos von Bollywood-Filmen, die sich abwechselten mit realistischen Szenen aus dem Leben der Jugendlichen. Geschichten über erste Liebe und dörfliche Idylle, aus der sie vertrieben wurden durch Kriege und Katastrophen. Misstrauen und Bürokratie waren oft die ersten Erfahrungen im Zufluchtsland, aber: "Ich lache überall", sagte Ousmane im Teil über "Komik", und Mariama ergänzte: "Ja, ich lache auch in der Ausländerbehörde." Musikalisch wurde das Stück aufgewertet durch die live eingespielten elektronischen Beats und Sounds von Viktor Marek, zu denen Ashraf Sharif Khan die Sitar spielte.

Bei der Darstellung von "Staunen" gab es einen dramaturgischen Höhepunkt als Abschluss: ein Lumpenhaufen erhob sich über dem Bühnenparkett und wurde zu einer überdimensionalen Imago-Zelle. Im Körper einer Raupe sorgen diese Zellen für die Verwandlung zum Schmetterling.

Gerold Marius Glajch

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Westfälische Nachrichten - 17.04.2011