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Die Welt - 19.08.2004

Vom Medienbunker zum Kulturklotz

Seit kurzem residieren vier Tanz- und Theatergruppen in dem grauen Riesen auf dem Heiligengeistfeld.

Ein Pulk von Leuten drängelt sich vor der Fahrstuhltür, wartet darauf, grüppchenweise von der dritten Etage in den Keller befördert zu werden. Dort unten in den neonbeleuchteten Gängen wirkt die Geschichte, die der junge Ibrahim Bah erzählt, doppelt surreal. Lässig sitzt er auf einem Stuhl, die Augen geschlossen. "Ich fühle eine wunderschöne Lady", spricht er, "ich höre ihre Schuhe - kat kat kat. Ich bin die Stufe auf die Straße gegangen und war auf der anderen Seite." Geschichten, in denen sich Eindrücke vom Leben in der neuen Stadt mit Erinnerungen aus der Heimat mischen. Ab und an flitzen Fahrradkuriere in dem unterirdischen, urbanen Mikrokosmos zu ihren Kunden in den Fotostudios durchs Bild. Ibrahim Bah gehört zu Hajusom!, einer Theatergruppe aus jugendlichen Flüchtlingen, die vor einigen Wochen mit "Kosmos 2" zu einer szenischen Führung durch die verborgenen Räume und Winkel im Bunker an der Feldstraße eingeladen hatten. "Für diese jungen Leute, die größtenteils aus Kriegsgebieten stammen, hat dieser Ort eine besondere Bedeutung", gibt die Leiterin Dorothea Reinicke zu verstehen. Neuerdings hat die Gruppe hier auch ihren Probenraum, ein großzügiges, mit Tanzteppich ausgelegtes Studio, das sie sich mit der bekannten Hamburger Musik- und Theatergruppe Station 17 teilt.

Die Hajusom!-Reise endete schließlich auf dem Dach mit eindrucksvollem Blick auf Hamburg. Der sich nach dem Krieg als Medienbunker hinter dicken Mauern etablierte Kreativort, aus dem 1952 die erste offizielle Fernsehsendung in Deutschland ausgestrahlt wurde, ist dabei, wieder einmal seine Bestimmung zu ändern. Tanz und Theater halten Einzug in die bislang der Fotobranche vorbehaltenen Räume. Im vergangenen Sommer siedelte bereits die B12, Bühne für Tanz und Tanztheater, samt ihrer Schule aus dem abseits gelegenen Hamm hierher über. Neu eröffnet hat gerade eine Flamenco-Schule. White House Lounge haben Caroline Baer und Axel Rupp ihr Studio im fünften Stock mit begrünter Dachterrasse getauft.

Die offizielle Eröffnungsparty mit Livemusik und Tanzpräsentationen steigt zwar erst am 4. September. Doch schon im August laufen die Kurse an, unterrichtet Chules Piñango aus Madrid bei einem Workshop, eingerahmt von einer Fiesta Sevillana und einem Nachmittag mit Schnupperstunden für Kinder. Denn die Tänzerin und Pädagogin Caroline Baer hat sich besonders auf Flamenco für die Kleinen, bereits ab vier Jahren, spezialisiert. Mit der Schule, erzählt die 36-Jährige, selbst Mutter zweier Kinder, stolz, habe sie sich einen Traum erfüllt. Bislang tingelte sie wie viele ihrer Kolleginnen zum Unterrichten durch verschiedene Studios. Neben der kommerziellen Seite arbeitet Baer daran, die White House Lounge zu einem Zent-rum für den Flamenco in Deutschland auszubauen - mit Seminaren, Bibliothek, Filmvorführungen und natürlich Live-Auftritten. Eng kooperieren wird sie mit dem Hamburger Flamenco Festival, das in Zukunft mit ihrem Studio einen Spielort zusätzlich zum Goldbekhaus haben wird. Auf der Bühne sucht Baer tänzerisch und musikalisch nach neuen Formen im Flamenco, zusammen mit Studiopartner Axel Rupp, einem Musiker und Obertonsänger. "Doch zurzeit fließt alle Energie in den Aufbau der Schule", sagt sie und fügt mit Blick auf ihre neunjährige und schon tanzbegeisterte Tochter hinzu: "Ihr wird es wie mir mit meiner Mutter ergehen." Die hatte nämlich im Bunker viele Jahre ein Fotostudio betrieben, in dem Caroline Baer den Großteil ihrer Kindheit verbracht hat.

Irmela Kästner

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Die Welt - 19.08.2004: Vom Medienbunker zum Kulturklotz