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„U–Bahn pünktlich, Leute tot“

Afrikanisches Theater Hajusom untersucht die Lage von Flüchtlingen in Europa

Münster. Mit den beiden Hochregalen wirkt die Bühne wie ein Warenlager. Doch auf einem Computerbildschirm, der von der Decke hängt, tippt jemand keine Bestelllisten – sondern die Schöpfungsgeschichte.

Dann nimmt ein anderer Korrekturen am christlichen Weltbild vor. Afrika sei die Wiege der Menschheit und demzufolge jeder ein Afrikaner, so seine Theorie. Damit sind die Weichen gestellt für „Paradise Mastaz“, eine ebenso bunte wie engagierte Performance über Emigration im Allgemeinen und Europa als Sehnsuchtsort im Besonderen, mit der Hajusom im Pumpenhaus gastiert.

Hajusom ist ein Hamburger Kunstprojekt, bei dem junge Flüchtlinge aus Afrika mit Künstlern unterschiedlicher Genres zusammenarbeiten. Zuletzt war die Gruppe mit ihrem Erfolgsstück „Hajusom in Bollyland“ in Münster. Als „Meister des Paradieses“ nehmen die Protagonisten jetzt ihre eigene Situation ins Visier und vergleichen die Erwartungen, die sie nach Europa geführt haben, mit dem, was sie hier vorfinden. Das führt zu allerlei ernüchternden Erkenntnissen. Eine davon mündet in einem Rap über Deutschland, in dem es heißt: „U-Bahn kommt pünktlich, aber Leute tot.“

Unter der Regie von Ella Huck und Dorothea Reinicke und musikalisch begleitet von dem Elektro-Punker Knarf Rellöm entwickelt das junge Ensemble Szenen, in denen afrikanische und europäische Wirklichkeit aufeinander prallen. Das gestaltet sich oft lustig, manchmal aber auch höchst dramatisch. Beispielsweise wenn in einem Video gezeigt wird, wie Grenzpolizisten Jagd auf Flüchtlinge machen, und die Darsteller das Geschehen mit Puppen nachspielen.

In einer anderen Szene fährt ein winziges Flüchtlingsschiff über die Bühne, bis plötzlich ein Nebelhorn ertönt, die beiden Hochregale sich wie ein Kreuzfahrtschiff in Bewegung setzten und die Scholle beinahe zu Kentern bringen. Gefüllt ist der Luxusliner mit einem ganzen Rudel Sextouristinnen, die Afrika „so exciting“ finden und bei der Auskunft gleich nach ihrem „Boy“ Ausschau halten.

Es sind oft nur kurze Eindrücke und Statements, die hier mit Hilfe von Schauspiel, Tanz und Musik in Szene gesetzt und collageartig aneinander gereiht werden.

Durch das gemeinsame Thema entwickelt sich daraus aber eine stimmige Geschichte, die Klischees vermeidet und inszenatorisch Akzente setzt. Standing Ovations für eine mitreißende Vorstellung,

Helmut Jasny

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Münstersche Zeitung, 17.06.2013