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Die Welt - 16.03.2004

Traum vom Frieden statt Trauma

Jugendliche Schauspieler aus aller Welt feierten in der Markthalle politischen Karneval

Freuen wir uns auf den großen Fleischverzehr, bald ist Fasten angesagt. 70 junge Menschen, leicht beschürzt, 70 agile Tänzer und Tänzerinnen, weiß, schwarz, grün und gelb, es spielt keine Rolle, denn alle Rollen sind aufgehoben: Karneval, etwas verspätet, wenn man den christlichen Kalender zum Maß nimmt, aber nie zu spät, wenn es um die Wucht geht. Carnival: Margit Sponheimer, die Nachtigall der Mainzer Fassnacht, wäre hier so fehl am Platz wie die 70 jungen Menschen, Schauspieler, Tänzer, Performer hier richtig sind. Sie ziehen zum Abschluss des Performance-Festivals "Play Mas", das in der vergangenen Woche überwiegend auf Kampnagel seinen Ort für Performances, Ausstellungen, Konzerte und Lesungen hatte, in die Markthalle ein - zu donnernden, karibisch unterfütterten Rhythmen und den Raps von 3canal, einer Dreierbande aus Trinidad. Sie tanzen dazu, energisch, voller Spannung, spielen und bringen das kreolische Verwandlungsritual des Carnival aus Trinidad zum Glühen - irgendwie düster, ungewiss, unheimlich.

"Play Mas: Metamorphosis" ist die Schlussperformance der vier am Festival beteiligten Theatergruppen, der argentinischen Gettokids-Tanztruppe "Crear vale la pena", dem M.U.K.A. Projekt für obdachlose Jugendliche aus Südafrika, dem indischen Medienperformanceprojekt Cybermohalla und der gastgebenden Hamburger Gruppe Hajusom, in der sich junge Immigranten wie der ehemalige Kindersoldat Hassan aus Sierra Leone von ihrer Vergangenheit befreien und gemeinsam eine neue Hamburger Heimat erspielen.

"Wir sind sehr froh", resümiert Dorothea Reinicke, eine der drei künstlerischen Leiterinnen des Festivals und Mitbegründerin von Hajusom, "darüber, wie diese Woche insgesamt verlaufen ist. Abgesehen davon, dass die Vorstellungen fast alle ausverkauft waren, war für uns eigentlich die Atmosphäre auf dem Festivalgelände das beeindruckendste, der Austausch zwischen den verschiedenen Gruppen, die ja aus völlig verschiedenen Kulturkreisen kommen. Und natürlich hat uns auch gefreut, wie die überaus politische Idee des trinidadischen Carnival sich hat übertragen lassen in diese Performance."

Viel Energie war zu spüren, in den einzelnen Phasen der Carnival-Performance, wo das Gewimmel der Leiber immer wieder aufriss und zum Bühnenbild für solistisch konzentriertere Darbietungen wurde. Es ging um Grenzen und Befreiung, um, wie Peter Burke den Karneval charakterisierte, "Nahrung, Sex und Gewalt", um Macht also, um politische Verhältnisse: "Be Free" rappen 3canal, und unten auf der Tanzfläche reißt ein muskulöser Mann an den Seilen, mit denen drei Wärter ihn im Zaum halten - ein einfaches, eindringliches Bild.

Später, nachdem finstere Kräfte die Ordnung der Dinge und der Geschlechter mittels Verkleidungen infrage stellten, sie später mit Stöcken und Knüppeln ins Wanken brachten, fordern die drei Rapper die Revolution. Innehalten: Ein Tänzer bewegt einen weißen Baldachin, auf den Bilder von Politikern projiziert sind: Bush, Blair, Arafat. Bush ist Bush, nicht gut oder böse - so unklar die Bewertung der Fotos bleibt, so deutlich wird ihr Sinn. Erst recht, als sich der Baldachin von Blut verfärbt. "We need good news", rappen 3canal, und alle helfen mit, mittels Zeitungen das Blut aufzuwischen. Das ist schon mal gut. Doch die Erlösung kommt anders: Sie ist ein Kind, trägt ein weißes Kleid und steht reglos im Lichtkegel. Die Zeit der Unterdrückung ist vorbei, die schwarzen Kostüme werden durch weiße ersetzt, und schon macht sich das Pamberi Steel Orchestra warm und bittet die Schmetterlinge zum Tanz. Damit hören sie nicht mehr auf.

Stefan Hentz

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Die Welt - 16.03.2004: Traum vom Frieden statt Trauma